Marke & Purpose

Buzzword oder echter Mehrwert?

Neulich sah ich mal wieder den US-Spielfilm „Miss Undercover“ aus dem Jahr 2000. Dabei spielt Sandra Bullock die Rolle einer FBI Undercover-Agentin, die bei einer Misswahl eingeschleust wird. Nur diesmal ist mir etwas Besonders aufgefallen: Sandra Bullock alias Gracie Hart verspottet die anderen Misswahl-Teilnehmerinnen, die sich alle in ihrer Selbstdarstellungsrede den Weltfrieden wünschen. Sie weigert sich natürlich, diesen Quatsch mitzumachen.

Ist das etwa der Anfang einer bitterbösen Abrechnung mit dem neuen Werbe-Buzzword „Purpose“? Nein, ich kann Sie beruhigen. Und so viel vorweg: Letztendlich ist „Purpose“ ein Mittel, ein Instrument für Ihr Unternehmen. Und es kommt darauf an, wie und zu welchem Zweck Sie es einsetzen.

Was ist denn eigentlich Purpose? 

Sie stehen nicht auf Anglizismen? Purpose ist das englische Wort für Sinn, Zweck, Absicht und meint dabei in der Corporate Language (haha – Unternehmenssprache) den höheren Zweck aber auch den inneren Treiber von Unternehmen. Wenn Ihnen das noch zu esoterisch klingt: Wofür steht Ihr Unternehmen? Für welche Werte? Wozu wurde das Unternehmen gegründet bzw. das Unternehmensangebot entwickelt?  Hört sich ja erstmal ganz banal an. Warum also feiert die Werbewirtschaft „Purpose“ gerade als den Trend im Markenaufbau?

In Zeiten von Corona voll im Trend

Die Fachzeitschrift W&V (Werben & Verkaufen) widmete diesem Thema bereits Ihre Januarausgabe 2020. Und gerade in der Coronakrise gewinnt „Purpose“ vermeintlich noch zusätzliche Relevanz. Die Marketing-Zeitschrift „absatzwirtschaft“ erklärt in Ihrer Ausgabe 2020/6 „warum werte-orientierte Brands jetzt zu den Gewinnern zählen“. Das Fachmagazin „Horizont“ erklärt in seiner Ausgabe Mai 2020, dass Sinn stiftende Unternehmen „eine höhere Wertschätzung von den Verbrauchern erhalten, die auch durch eine höhere Preisbereitschaft zum Ausdruck gebracht wird“.

Und natürlich gibt es auch die kritischen Stimmen: WirtschaftsWoche-Kolumnist Thomas Koch schrieb bereits im September 2019: „Plötzlich wollen Marken Wegweiser durch unser Leben sein und die Welt retten. … Nun wird versucht, jeder Marke einen besonderen Sinn zu geben – auch dann, wenn er beim besten Willen nicht vorhanden ist“. Ralph Ohnemus, Autor und CEO von K&A Brand Research spricht von „Purpose-Porn“ und kritisiert Unternehmen, welche vor allem die Corona-Situation nutzen, um Werte und Sinnhaftigkeit eifrig über Geschäftsmodelle, Unternehmen und Marken zu stülpen – wohl irrtümlich davon überzeugt, „dass Menschen ihr zukünftiges Kaufverhalten danach ausrichten werden.“ Und fügt hinzu, dass sich Marken mit solchen generischen, ethischen Sinn-Aussagen nicht differenzieren. Dem stimme ich grundsätzlich zu. Damit schließt sich der Kreis zu den Misswahl-Teilnehmerinnen und ihrem aufgesetzten und austauschbaren Wunsch nach Weltfrieden. Und genau das sind auch die zwei Fallen, in die man als Unternehmen mit falsch verstandenem „Purpose“ tappen kann.

Die Ethik-Inszenierungsfalle

Diese Falle schnappt zu, wenn Ihre einzige oder primäre Absicht ist, sich durch Sinnstiftendes moralisch in Szene zu setzen, um damit Absatz, Umsatz und Image des Unternehmens bzw. der Marke zu verbessern. Man schmückt sich dabei mit ethischen Werten, die schlimmstenfalls nur inszeniert und wenig bis gar nicht gelebt werden. Dies wird dann früher oder später zum Eigentor – sowohl für die Reputation als auch für den Umsatz des Unternehmens (remember Greenwashing). Denn was tun denn die Miss-Kandidatinnen, um den Weltfrieden zu unterstützen?

Die Theorie-Falle

Diese Falle droht, wenn Botschaften diffus, unverständlich und generisch wirken. Purpose und Werte sind nun mal als Oberbegriffe abstrakt. Genauso, wie z. B. der Begriff „Insekt“ generischer ist als der Begriff „Biene“. Wenn man Werte nicht greifbar macht, wissen Mitarbeiter nicht, was „Purpose“ für ihre tägliche Arbeit bedeutet. Kunden empfinden solche Allgemeinplätze als austauschbar und im schlimmsten Fall floskelhaft. Wenn dies der Fall ist, dann ist die beißende Kritik an „Purpose & Co“ berechtigt.

Sinnstiftung und Corporate Social Responsibility

Wenn man Sinnstiftung als Verantwortung für die allgemeine Weiterentwicklung betrachtet, sollte man diese – und das ist meine ganz persönliche Meinung – vom Marketing abkoppeln. Den Satz „Tue Gutes und rede darüber.“ nutzen viele Unternehmen als Rechtfertigung, um damit Ihre Reputation ins moralisch rechte Licht zu rücken und tappen damit in die Ethik-Inszenierungs-Falle.

Und jetzt aufgepasst: Wenn Sinnstiftung und der definierte „Purpose“ nichts oder wenig mit Ihrem Unternehmensangebot zu tun haben und sich nicht in allen Bereichen des Unternehmens widerspiegeln, handelt es sich dabei um ein Compliance Statement (Konformitätserklärung) bzw. um Corporate Social Responsibility (unternehmerische soziale Verantwortung). Ersteres bedeutet, dass man sich als Unternehmen zu gesetzlichen bzw. ethischen Grundprinzipien bekennt und letzteres, dass man sich in einem oder mehreren ethischen oder sozialen Bereichen besonders engagiert. Das ist grundsätzlich gut und lobenswert. Hat jedoch mit grundsätzlichem Markenversprechen nur bedingt zu tun.

Sinnstiftung ist in der Kommunikation bekannter Marken deshalb ein großes Thema, weil Verbraucher mittlerweile von ihnen erwarten, dass sie ihre Kommunikationspräsenz und ihren Einfluss dazu nutzen, um globale Missstände im ökologischen und sozialen Bereich zu beseitigen. In solchen Zusammenhängen hat Sinnstiftung mit sozialer bzw. ökologischer Verantwortung zu tun und kann ein Teil der Markenkommunikation sein, sollte jedoch kein zentrales Werbeversprechen werden – wie es von vielen Marketern instrumentalisiert wird. Und damit kommen wir zur zweiten Betrachtung.

Sinnstiftung und Marketing

Kunden wollen wissen, was Sie a) anbieten, warum es b) anders ist als der Wettbewerb und was sie c) davon haben – und darüber hinaus auch, ob Sie grundsätzlich integer handeln. So einfach ist es.

Moralisch-ethische Statements als grundsätzliches Markenversprechen bzw. als Antwort auf diese Fragen zu nutzen, kann unangemessen wirken. Selbstverständlich können Sie Ihre Compliance Statement veröffentlichen, damit Kunden und Mitarbeiter sehen, dass Sie sich zu den gesetzlichen und ethischen Grundregeln bekennen. Und natürlich können Sie zusätzlich erwähnen, dass Sie sich für bestimmte soziale, gemeinnützige, wirtschaftliche oder ökologische Projekte verantwortungsvoll engagieren. Wenn Sie jedoch als Schraubenhersteller, IT-Consulter oder Bierbrauer mit geschwollenen, emotionalisierten und aufgesetzten ethischen „Purposes“ der modernen Markenführung hinterherjagen, wird das sehr schnell unauthentisch und zur Lachnummer.

Und jetzt kommt für Sie vielleicht die Überraschung: „Purpose“ kann ein grundlegendes Markenversprechen und Differenzierungsmerkmal sein. Und dies nicht nur für große B2C-Marken, sondern auch für B2B-Unternehmen, für KMU und Selbständige, für den IT-Berater, die Kanzlei, den Komponentenhersteller oder die Brauerei – jedoch nur unter folgenden Bedingungen:

Ein „Purpose“, der wirklich Sinn macht

Suchen Sie den „Purpose“ Ihres Unternehmens nicht in allgemein akzeptierten Werten bzw. ethischen Erwartungen. Konzentrieren Sie sich nicht auf das, was vermeintlich bei vielen bzw. allen gut ankommt. So umgehen Sie die Ethik-Inszenierungsfalle. Beantworten Sie dagegen zunächst Fragen, die im wahren Kern Ihres Unternehmens liegen und diesen in allen Bereichen klar und greifbar widerspiegeln: Welches Problem löst Ihr Unternehmensangebot für Ihre Kunden? Was unterscheidet Ihr Angebot von vergleichbaren Wettbewerbern und welchen zusätzlichen Nutzen bietet es? Warum sind Sie besonders gut darin? Mit welcher Absicht wurde das Unternehmen für Kunden und Mitarbeiter gegründet? Wie wird dies intern gelebt? Was wollen Sie damit in die Welt bewirken? Mit welchen Qualitäten können Sie diese Aspekte beschreiben?

Kernwerte, die Sie wirklich definieren

Dann kommt es zum entscheidenden Punkt: Welche wenigen Eigenschaften bringen all dies auf einen gemeinsamen Nenner? Im Idealfall definieren Sie drei bis vier Kernwerte Ihres Unternehmens bzw. Ihrer Marke, aus denen Ihr „Purpose“ als Statement oder Handlungsversprechen formuliert wird. Der „Purpose“ kann die direkte Ableitung eines Kernwerts sein oder aus der Kombination von zwei oder drei Werten entstehen. Beispiele dafür: Die Marke ALDI hat den Grundwert „Einfachheit“ als Werbe- und Handlungsversprechen umgesetzt: „Einfach ist mehr“ bzw. „Konzentriere Dich aufs Richtige und befreie Dich vom Rest“. Einer unserer Kunden – eine regionale Bierbrauerei – hat aus den Kernwerten Einzigartigkeit und Verbundenheit den Purpose „Be unique and come together“ abgeleitet. Oder das berühmte „Think Different“ von Apple, das Ausdruck von Kreativität, Innovation und Unkonventionalität ist.

Diese „Purposes“ müssen keinen ethischen Erwartungen entsprechen bzw. soziale oder ökologische Verantwortung zum Ausdruck bringen – das tun CSR und Compliance Statement. Sie bieten aber eine Werteorientierung, die zur Erkennung der Markenidentität durch Mitarbeiter, Fachkräfte und Kunden wichtig ist und durchaus auch als Lebensoptimierungs-Tipp in Marketingkommunikation, Employer Branding und Unternehmenskultur fungieren kann. Aber – und das ist der entscheidende Unterschied – nicht muss.

Authentisch, erlebbar, greifbar

Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz von „Purpose“ in der Kommunikation sind Authentizität, Klarheit und Praxisbezug. Die Sinnstiftung eines Unternehmens ist kein erfundenes Konstrukt eines Werbeberaters, sondern existiert und wird – idealerweise – bereits im Unternehmen gelebt. „Erkenne Dich selbst“ ist hier die Devise und dafür macht es durchaus Sinn, externe Dienstleister zu beauftragen. Die guten Berater unterscheiden sich darin, dass sie Ihre Kunden dazu befähigen, selbst den Kern Ihrer Unternehmensidentität zu erkennen, um daraus deren Sinnstiftung zum Ausdruck zu bringen.

Dabei ist die größte Herausforderung, der Theoriefalle zu entgehen. Werte und Sinnformulierungen können zunächst abstrakte, diffuse und generisch wirkende Worthülsen sein. Damit Werte & „Purpose“ verständlich und greifbar werden, muss man Kriterien und Maßstäbe definieren, die diese Werte und den daraus resultierende „Purpose“ erlebbar machen – für Kunden, Bewerber und Mitarbeiter. Leider scheitern gerade hier die meisten Prozesse – auch durch Unwissenheit auf Seiten der Berater.

Das Erfolgsrezept zum Schluss

1. Entkoppeln Sie Werte und „Purpose“ von vermeintlich ethischen Erwartungen und von Compliance Statement, CSR & Co.
2. Lassen Sie sich nichts von außen aufstülpen, sondern erkennen Sie Ihren wahren, bereits gelebten Unternehmenskern.
3. Machen Sie Werte erlebbar und greifbar – durch klare Kriterien, definierte Prozesse, messbaren Ziele, Verhaltenscodes oder sogar rationale Verkaufsargumente.

So erschaffen Sie ein einzigartiges Markenversprechen und die Basis für:

a) eine gemeinsame, gelebte Unternehmenskultur Ihrer Mitarbeiter
b) eine erkennbare Werteübereinstimmung (Cultural Fit) als Arbeitgebermarke (Employer Branding)
c) eine authentische Unterscheidung vom Wettbewerb.

Dies können Sie dann auch nach allen Regeln der (Werbe-)Kunst umsetzen: Plakatieren, Emotionalisieren, Storytelling etc. Warum? Weil es prüfbar authentisch ist.

Übrigens: Sandra Bullock alias Gracie Hart hat sich zum Schluss ihrer Rede doch zum Weltfrieden bekannt – wohl aus Verbundenheit zum sozialen Konsens der Misswahl. (Dies könnte man wohl als eine Art Compliance Statement interpretieren). Die Sinnstiftung ihrer Persönlichkeit und damit auch Ihre Besonderheit war jedoch was anderes. Vielleicht erkennen Sie diese ja, wenn Sie sich an den Film erinnern oder ihn vielleicht bei der nächsten Gelegenheit anschauen.

© Copyright/Autor: Eugen Lakkas – weitere Publikationen